Im Wintersemester 2019 habe ich die Lehrveranstaltung "Wirtschaftsinformatik 2" für Studenten im Studiengang "Gesundheitsmanagement" und "Kultur und Management" gehalten. Im Rahmen dieser Veranstaltung sollen die Studenten an ihre potenzielle Rolle als Domänenexperte in einem Softwareentwicklungsprozess herangeführt werden. Sie erhalten die Aufgabe, eine Idee für ein innovatives Produkt (i.d.R. ein Softwareprodukt bzw. eine App) zu finden, ein geeignetes Geschäftsmodell dafür zu entwickeln und eine Spezifikation des Produkts mit Geschäftsprozessmodellen (BPMNs), Use-Cases und Mockups vorzunehmen. Dazu werden Teams von ca. 3 Studenten gebildet.
Bereits in den letzten Jahren haben wir als Dozenten und Übungsleiter immer darauf geachtet, dass echte Innovationen entstehen und nicht einfach ein bereits existierendes Produkt beschrieben wird. Die Studentengruppen können sich viel stärker mit ihrer eigenen Idee identifizieren und haben am Ende ein einzigartiges Ergebnis, auf das sie stolz sein können. Der Ansatz funktioniert: In all den Jahren habe ich immer beobachtet, dass die Studenten mit viel Motivation und Ehrgeiz an die Aufgabenstellung herangehen und sich als Nicht-Informatiker im Software-Bereich "beweisen" möchten.
Trotz der hohen Motivation hatten die Studenten in den letzten Jahren immer gewisse Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Innovation als Thema für den Beleg. Ich habe mich gefragt, wie ich als Dozentin diese Phase besser begleiten und unterstützen kann. Es ist mir wichtig, dass der Prozess der Ideenfindung auch tatsächlich als Teil der Projektarbeit wahrgenommen wird - im Gegensatz zu der falschen Annahme, dass die Projektarbeit erst mit einer brauchbaren Idee begonnen werden kann.
Ich habe mich dazu entschlossen, den Teams die Design-Thinking-Methode nahezubringen. Mit dieser Methode lässt sich die gesamte Projektarbeit in 6 Phasen unterteilen:
Das Besondere an dieser Methode ist, dass sich das Team in den ersten drei Phasen ausschließlich im Problemraum bewegt. Das Team soll zuerst daran arbeiten, die Probleme der Nutzer beim Erledigen eines bestimmten Geschäftsprozesses (z.B. Buchung eines Hotels, Bestellung von Essen im Krankenhaus, Bewerbung für einen Wohnheimplatz) zu identifizieren und zu verstehen. Erst wenn die Probleme gefunden sind, die gelöst werden sollen, beginnt das Team mit der Arbeit an konkreten Produktideen. Es ergibt sich fast von allein, dass die resultierenden Ideen innovativ sind, denn sie sollen die Probleme besser lösen als die herkömmlichen Hilfsmittel.
Im Folgenden möchte ich beschreiben, wie ich die einzelnen Phasen in meinem Unterricht interpretiert und ausgestaltet habe.
Teil 1: Design Thinking Phasen 1 - 4
In der ersten Phase sollen die Studenten einen Anwendungsbereich finden und in diesem Anwendungsbereich einen Geschäftsprozess auswählen (z.B. "Entlassung eines Patienten aus dem Krankenhaus"). In Phase 2 sollen sie sich damit beschäftigen, welche menschlichen Akteure an dem Geschäftsprozess beteiligt sind. Sie sollen herausfinden, auf welche Probleme die Akteure stoßen, wenn sie mit den herkömmlichen Hilfsmitteln den Geschäftsprozess durchführen. Die Design-Thinking-Methode empfiehlt, dass sich das Team besonders stark in die Emotionen der Menschen hineinversetzen sollte. Was das bedeutet, habe ich mit einem passenden Youtube-Video anschaulich demonstriert.
Besonderen Wert habe ich auf die folgenden Aktivitäten gelegt:
eine Recherche vor Ort und Gespräche mit den betroffenen Personen
eine Recherche in der Literatur bzw. im Internet, um herauszufinden, ob das Problem bereits auf einschlägigen Plattformen diskutiert wird (was eine positive Bestätigung für die Wahl der Problemstellung ist)
eine Marktrecherche nach den verfügbaren Hilfsmitteln (Apps, Software, Webseiten) und eine kurze Analyse, warum das Problem damit noch nicht gelöst wird
Ich empfehle in dieser Phase schon die Erstellung von zwei bis drei Personas, um verschiedene Gruppen von Akteuren mit ihren Zielen und Bedürfnissen zu charakterisieren.
Die dritte Phase dient dazu, die Informationen aus Phase 1 und 2 zusammenzufassen und auf das Wesentliche zu reduzieren. Ich empfehle dazu die Formalisierung des IST-Prozesses als Geschäftsprozessmodell (BPMN). Anhand des Modells soll noch noch einmal kurz die Problemstellung erläutert werden (z.B.: an welchen Stellen im Prozessablauf ensteht für die Akteure ein erhöhter Arbeitsaufwand oder eine andere Art von Belastung?).
Erst in der vierten Phase dürfen sich die Studenten mit möglichen Lösungsvarianten auseinandersetzen. Im Rahmen einer Brainstorming-Sitzung sollen ganz bewusst viele verschiedene, gegensätzliche und zum Teil ungewöhnlich anmutende Lösungsansätze notiert werden. Erst in einer zweiten Sitzung sollen die einzelnen Ideen gefiltert und priorisiert werden. Ich möchte vermeiden, dass sich die Studenten zu schnell auf einen bestimmten Lösungsansatz fokussieren, um "voranzukommen". Stattdessen möchte ich erreichen, dass eine kreative Lösungssuche stattfindet, bei der das Problem aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachtet wird.
Teil 2: Design Thinking Phasen 5, 6 und Lean Startup
Nun ist es an der Zeit, erste Prototypen zu entwickeln und zu testen. Ich setze den Fokus aber nicht ausschließlich darauf, das Produkt am Nutzer zu testen. Neben dem Problem-Solution-Fit soll nun vor allem auch ein Konzept für den Product-Market-Fit entwickelt und evaluiert werden. In diesem Zusammenhang sollen sich die Teams Gedanken über mögliche Geschäftsmodelle machen. Daher überlagere ich den Design-Thinking-Prozess in den Phasen 5 und 6 mit dem Lean-Startup-Zyklus "Bauen-Messen-Lernen":
In der Vorlesung erkläre ich den Aufbau eines Business Model Canvas (BMC) und zeige die BMCs von einigen bekannten Unternehmen. Anschließend sprechen wir über mögliche Varianten von Minimum Viable Products (MVP), mit denen das Geschäftsmodell validiert werden soll, z.B. LandingPages, Erklärvideos oder Crowdfunding-Kampagnen. Als Übung sollen die Studenten eine passende LandingPage zu ihrer Geschäftsidee entwickeln. Mit Website-Baukästen wie z.B. wix.com oder jimdo.com ist das ohne großen Aufwand möglich. Zur Inspiration zeige ich Beispiele für typische LandingPages. Jede LandingPage soll drei Elemente enthalten:
Einen Kopfbereich (Header) mit einem aufschlussreichen Slogan, der kurz und bündig das Produkt und seinem Nutzen beschreibt (z.B. "Shop Anywhere. Checkout Here.")
Eine Kontaktmöglichkeit bzw. ein sogenanntes Call-to-Action, mit dem der Nutzer zum App-Store gelangen, sich für einen Newsletter registrieren oder weitere Informationen anfordern kann. Das Call-to-Action muss nicht funktionsfähig sein.
Eine übersichtliche Auflistung der wesentlichen Produktmerkmale und -vorteile unterhalb des Headers.
Die Reaktion der Kunden auf die LandingPage gibt Aufschluss über die Gültigkeit von bestimmten Aspekten des Business Model Canvas (z.B. Value Proposition, Product-Solution-Fit). Auch die Gewinnstrategie kann bereits evaluiert werden, z.B. indem die Reaktion der Nutzer auf verschiedene Preis- oder Abomodelle gemessen wird, die auf der Landingpage präsentiert werden.
Als weiterer Test für das Geschäftsmodell wird von den Studenten pro Gruppe ein 10-minütiger Pitch durchgeführt. Als Hilfestellung gebe ich eine mögliche Gliederung für das Pitch-Deck vor. Die Studenten sollen sich die Vorträge gegenseitig anhören und die Geschäftsideen kritisch bewerten. Die Anmerkungen werden während des Vortrags auf Zetteln notiert und anschließend an die Gruppe weitergeleitet.
Die Studenten sollen begreifen, dass die Entwicklung einer Geschäftsidee in mehreren "Bauen-Messen-Lernen" - Zyklen abläuft. Daher soll jede Gruppe die Auswertung des Pitch-Vortrages zum Anlass nehmen, um die Gestaltung des Produkts oder den Aufbau des Geschäftsmodells nochmal zu hinterfragen und ggf. abzuändern. Dieser Änderungsprozess soll auch im Beleg dokumentiert werden.
Teil 3: Beschreibung der Produktfunktionen mit BPMNs, Use-Cases und Mockups
Im dritten Teil des Belegs werden die Produktfunktionen und -anforderungen zusammenfassend dokumentiert. Dazu gehört die Erstellung von SOLL-BPMNs unter Einbeziehung des neuen Produkts, die Beschreibung der Nutzerinteraktion mit Use-Cases und einem Use-Case-Diagramm sowie die Erstellung von GUI-Mockups (z.B. mit PowerPoint oder mit Balsamiq Mockups).
Auswertung
Die Studenten haben mir bestätigt, dass ihnen die Arbeit am Projekt Spaß gemacht hat und sie viel neues über die Vorgehensweisen bei der Softwareentwicklung, der Geschäftsmodellentwicklung oder der Webseitenerstellung gelernt haben. Sie empfanden es jedoch als schwierig, dass im letzten Monat vor Semesterende mit der Beschreibung der Produktfunktionen nochmal ein sehr umfangreiches Arbeitspaket auf sie zukam. Eine Studentin merkte an, dass der dritte Teil eigentlich der interessanteste und wichtigste Teil wäre. Solche Rückmeldungen werde ich nutzen, um den nächsten Durchgang der Lehrveranstaltung zu verbessern.
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